DAS LEBEN UND DIE LEHREN JESU
AUS TEIL IV, SCHRIFT 122

JESU GEBURT UND KINDHEIT

Es wird kaum möglich sein, die vielen Gründe erschöpfend zu erörtern, die zur Wahl Palästinas als dem Land der Selbsthingabe Michaels führten, und im besonderen, wieso gerade die Familie Josephs und Marias als unmittelbarer Rahmen für das Erscheinen dieses Gottessohnes auf Urantia gewählt wurde.

Nach dem Studium eines von den Melchisedeks in Abstimmung mit Gabriel vorbereiteten Spezialberichts über den Status abgesonderter Welten wählte Michael schließlich Urantia zum Planeten seiner letzten Selbsthingabe. Nach diesem Entscheid stattete Gabriel Urantia einen persönlichen Besuch ab. Sein Studium menschlicher Gruppen und seine Übersicht über die geistigen, intellektuellen, rassischen und geographischen Charakteristika der Welt und ihrer Völker führten ihn im Endergebnis zu der Überzeugung, dass die Hebräer jene relativen Vorteile besaßen, die ihre Wahl als Rasse für die Selbsthingabe rechtfertigten. Nach Michaels Genehmigung dieses Entscheids ernannte Gabriel die aus  ausgewählten Persönlichkeiten der höheren Ordnungen des Universums bestehende Familienkommission der Zwölf, die mit der Untersuchung des jüdischen Familienlebens beauftragt wurde, und entsandte sie nach Urantia. Als diese Kommission ihre Arbeit abgeschlossen hatte, war Gabriel auf Urantia anwesend und nahm den Bericht entgegen, der drei in Frage kommende Ehepaare nannte, die nach Meinung der Kommission für Michaels geplante Inkarnation gleich günstige familiäre Voraussetzungen erfüllten.

 

Unter den drei vorgeschlagenen Ehepaaren traf Gabriel die persönliche Wahl von Joseßph und Maria, welcher er später in Person erschien und die frohe Botschaft überbrachte, dass sie zur irdischen Mutter des Kindes der Verheißung auserwählt worden sei.

 

 

1. JOSEPH UND MARIA

 

Joseph, der menschliche Vater von Jesus (JOSUA BEN JOSEPH), war ein Hebräer unter Hebräern, auch wenn sich in seinem Blut viele nichtjüdische Rassenanteile mischten, die seinem Stammbaum von Zeit zu Zeit durch die weiblichen Linien seiner Ahnen zugeführt worden waren. Seine Vorfahren reichten zurück bis in die Tage Abrahams und von diesem ehrwürdigen Patriarchen über frühere Stämme der alten blauen Menschen bis zu Andon und Fonta. David und Salomon waren keine direkten Vorfahren Josephs, noch führte dessen Ahnenlinie direkt zu Adam zurück. Josephs unmittelbare Vorfahren waren Handwerker – Bau- und Zimmerleute, Maurer und Schmiede. Joseph selber war Zimmermann und später Unternehmer. Seine Familie gehörte zu einem alten und berühmten Geschlecht aus dem Volksadel, das sich hin und wieder durch das Erscheinen außergewöhnlicher Einzelner hervortat, die sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Religion auf Urantia auszeichneten.

 

Maria, Jesu irdische Mutter, war Nachfahrin einer langen Reihe von einzigartigen Ahnen, die viele der bemerkenswertesten Frauengestalten der Rassengeschichte Urantias einschloss. Obwohl Maria in ihrer Zeit und Generation eine durchschnittliche Frau mit ganz normaler Veranlagung war, zählte sie doch zu ihren Ahnenfrauen so berühmte Namen wie Annon, Tamar, Ruth, Batseba, Ansie, Cloa, Eva, Enta und Ratta. Keine jüdische Frau jener Tage besaß eine glänzendere Ahnenreihe, noch eine, die zu vielversprechenderen Anfängen zurückreichte. Gleich denjenigen Josephs waren auch Marias Vorfahren überwiegend starke, aber durchschnittliche Individuen, aus denen ab und zu zahlreiche außergewöhnliche Persönlichkeiten herausragten, die sich im Fortschritt der Zivilisation und in der Höherentwicklung der Religion hervortaten. Vom rassischen Standpunkt aus gesehen, ist es kaum richtig, Maria als eine Jüdin zu betrachten. In ihrer Kultur und in ihrem Glauben war sie eine Jüdin, in hereditärer Hinsicht aber mehr ein Gemisch aus syrischen, hethitischen, phönizischen, griechischen und ägyptischen Erbanteilen. Ihr rassisches Erbe war also breiter angelegt als dasjenige Josephs.

 

Von allen zur Zeit der geplanten Selbsthingabe Michaels in Palästina lebenden Ehepaaren besaßen Joseph und Maria die idealste Kombination weitreichender rassischer Verbindungen und überdurchschnittlicher Persönlichkeitsanlagen. Michaels Plan war es, als durchschnittlicher Mensch auf Erden zu erscheinen, damit das einfache Volk ihn verstehen und annehmen könnte, weshalb Gabriel gerade Menschen wie Joseph und Maria als Eltern für die Selbsthingabe auswählte.

 

 

2. GABRIEL ERSCHEINT ELISABET

 

Jesu Lebenswerk auf Urantia wure in Wahrheit durch Johannes den Täufer begonnen. Zacharias, der Vater des Johannes, gehörte zur jüdischen Priesterschaft, während seine Mutter Elisabet ein Mitglied des wohlhabenderen Zweiges desselben großen Familienverbandes war, dem auch Maria, die Mutter Jesu, angehörte. Zacharias und Elisabet, obschon seit vielen Jahren verheiratet, waren kinderlos geblieben.

Es war spät im Monat Juni des Jahres 8 v. Chr., ungefähr drei Monate nach der Heirat von Joseph und Maria, als Gabriel eines Tages um die Mittagsstunde Elisabet erschien, genauso wie er später Maria seine Gegenwart kundtat. Er sprach: „Während dein Mann Zacharias in Jerusalem vor dem Altar steht und das versammelte Volk für das Kommen eines Erlösers betet, bin ich, Gabriel, gekommen, um dir zu verkünden, dass du bald einen Sohn gebären wirst, der der Vorläufer des göttlichen Lehrers sein wird. Und du sollst deinen Sohn Johannes heißen. Er wird ganz dem Herrn, deinem Gott hingegeben aufwachsen, und als Mann wird er dein Herz erfreuen, weil er viele Seelen zu Gott hinwenden wird. Er wird auch das Kommen des Seelenheilers deines Volkes und des Geist-Befreiers der ganzen Menschheit ankündigen. Deine Verwandte Maria wird die Mutter dieses Kindes der Verheißung sein, und ich werde ihr ebenfalls erscheinen.“

Elisabet erschrak gewaltig über diese Erscheinung. Nach Gabriels Fortgang überdachte sie das Erlebnis immer von neuem, lange die Worte des majestätischen Besuchers abwägend, aber sprach zu niemandem mit Ausnahme ihres Mannes über die Offenbarung bis zu ihrem Gespräch mit Maria Anfang Februar des folgenden Jahres.

 

Fünf Monate lang verbarg Elisabet ihr Geheimnis sogar vor ihrem Mann. Nachdem sie ihm die Geschichte von Gabriels Besuch eröffnet hatte, war Zacharias sehr skeptisch, und wochenlang bezweifelte er das ganze Erlebnis. Er begann erst halbherzig an Gabriels Besuch bei seiner Frau zu glauben, als er nicht länger in Frage stellen konnte, dass sie guter Hoffnung war. Zacharias war über die Maßen erstaunt über Elisabets bevorstehende Mutterschaft, zweifelte aber trotz seines vorgerückten Alters nicht an der Unbescholtenheit seiner Frau. Erst etwa sechs Wochen vor der Geburt des Johannes gelangte Zacharias infolge eines beeindruckenden Traums zu der vollen Überzeugung, dass Elisabet einen Sohn der Vorsehung gebären werde, einen, der dem kommenden Messias den Weg bereiten sollte.

 

Gabriel erschien Maria etwa Mitte November des Jahres 8 v. Chr., während sie in ihrem Heim in Nazaret bei der Arbeit war. Später, als Maria mit Sicherheit wusste, dass sie Mutter werden würde, überzeugte sie Joseph, sie nach der Stadt Juda im Hügelgebiet vier Kilometer westlich von Jerusalem reisen zu lassen, um Elisabet zu besuchen. Gabriel hatte jede dieser werdenden Mütter von seinem Besuch bei der anderen in Kenntnis gesetzt. Natürlich lag ihnen viel daran zusammenzukommen, ihre Erfahrungen auszutauschen und über die wahrscheinliche Zukunft ihrer Söhne zu reden. Maria blieb drei Wochen lang bei ihrer entfernten Kusine. Elisabet tat viel, um Marias Glauben an Gabriels Erscheinung zu festigen. Maria kehrte nach Hause zurück, bereiter, dem Ruf zu folgen und das Kind der Vorsehung zu gebären, das sie der Welt schon so bald als hilflosen Säugling, als ein durchschnittliches und normales Kind dieser Welt schenken würde.

Johannes wurde am 25. März des Jahres 7 v. Chr. in der Stadt Juda geboren. Zacharias und Elisabet waren von großer Freude erfüllt, als ihnen klar wurde, dass ihnen ein Sohn geschenkt worden war, wie Gabriel es versprochen hatte, und als sie das Kind am achten Tag zur Beschneidung brachten, tauften sie es auf den Namen Johannes, wie ihnen zuvor nahe gelegt worden war. Schon hatte sich ein Neffe des Zacharias nach Nazaret aufgemacht mit Elisabets Botschaft an Maria, dass sie einen Sohn geboren habe und sein Name Johannes sein werde.

Vom zartesten Kindesalter an wurde Johannes von seinen Eltern mit Bedacht die Idee eingepflanzt, er sei bestimmt, zu einem geistigen Führer und religiösen Lehrer heranzuwachsen. Und der Boden seines Herzens nahm solch eine suggestive Saat immer willig auf. Schon als Kind fand man ihn oft im Tempel während der Dienstzeiten seines Vaters, und die Bedeutung all dessen, was er sah, beeindruckte ihn gewaltig.

 

 

3. GABRIELS VERKÜNDIGUNG AN MARIA

 

Eines Abends bei Sonnenuntergang und vor Josephs Heimkehr erschien Gabriel Maria neben einem niedrigen Steintisch und sprach zu ihr, nachdem sie ihre Fassung wiedererlangt hatte: „Ich komme auf Geheiß eines, der mein Meister ist und den du lieben und nähren sollst. Dir, Maria, bringe ich eine frohe Botschaft mit der Kunde, dass deine Empfängnis vom Himmel bestimmt ist und dass du zur gegebenen Zeit Mutter eines Sohnes werden wirst. Du sollst ihn Josua nennen, und er wird unter den Menschen das Königreich des Himmels auf Erden eröffnen. Sprich mit niemandem darüber außer mit Joseph und deiner Verwandten Elisabet, der ich ebenfalls erschienen bin und die auch bald einen Sohn zur Welt bringen wird; er wird Johannes heißen und der Wegbereiter für die Erlösungsbotschaft sein, die dein Sohn den Menschen mit großer Macht und tiefer Überzeugung verkünden wird. Und zweifle nicht an meinen Worten, Maria; denn dieses Haus wurde zum menschlichen Heim des Kindes der Vorsehung ausgewählt. Mein Segen ruht auf dir, die Kraft der Allerhöchsten wird dich stärken und der Herr der ganzen Erde wird über dir wachen.“

Viele Wochen lang sann Maria im Stillen in ihrem Herzen über diesen Besuch nach, bis sie mit Sicherheit wusste, dass sie schwanger war. Erst dann wagte sie es, ihrem Ehemann diese ungewöhnlichen Ereignisse zu eröffnen. Als Joseph all das gehört hatte, war er sehr beunruhigt und konnte manche Nächte hindurch nicht schlafen, obwohl er großes Vertrauen zu Maria hatte. Zuerst hegte Joseph Zweifel am Besuch Gabriels. Als er so gut wie zu der Überzeugung gelangt war, dass Maria die Stimme wirklich gehört und die Gestalt des göttlichen Boten gesehen hatte, war er innerlich zerrissen, als er hin und her überlegte, wie solche Dinge möglich sein konnten. Wie konnte der Abkömmling menschlicher Wesen ein Kind mit göttlichem Schicksal sein? Joseph war außerstande, diese widersprüchlichen Ideen in Einklang zu bringen. Endlich, nach mehreren Wochen des Nachdenkens, gelangte er mit Maria zu der Überzeugung, dass sie als Eltern des Messias ausgewählt worden waren, obwohl die Juden kaum die Vorstellung hatten, dass der erwartete Erlöser göttlicher Natur sein sollte. Kaum waren sie zu diesem bedeutsamen Schluss gekommen, als Maria sich eilends zum Besuch Elisabets aufmachte.

 

Nach ihrer Rückkehr besuchte Maria ihre Eltern Joachim und Hannah. Ihre beiden Brüder, ihre beiden Schwestern ebenso wie ihre Eltern waren wegen der göttlichen Mission Jesu immer sehr skeptisch, obwohl sie zu jener Zeit vom Besuch Gabriels natürlich nichts wussten. Aber Maria vertraute ihrer Schwester Salome an, sie glaube, ihr Sohn sei bestimmt, ein großer Lehrer zu werden.

 

Gabriels Verkündigung an Maria hatte am Tag nach der Empfängnis Jesu stattgefunden und war das einzige übernatürliche Ereignis im Zusammenhang mit Marias gesamter Erfahrung, das Kind der Verheißung zu tragen und zu gebären.

 

 

4. JOSEPHS TRAUM

Joseph konnte sich mit der Idee, Maria würde die Mutter eines außergewöhnlichen Kindes werden, nur schwer anfreunden bis zu dem Augenblick, als er einen sehr eindrucksvollen Traum hatte. In diesem Traum erschien ihm ein strahlender himmlischer Bote, der ihm unter anderem Sagte: „Joseph, ich erscheine dir auf Geheiß Dessen, der jetzt im Himmel herrscht, und ich habe den Auftrag, dich über den Sohn, den Maria gebären und der ein großes Licht in der Welt sein wird, zu unterrichten. In ihm wird das Leben wohnen, und sein Leben soll zum Licht der Menschheit werden. Er wird zuerst zu seinem eigenen Volk kommen, aber dieses wird ihn kaum aufnehmen. All jenen hingegen, die ihn aufnehmen, wird er offenbaren, dass sie Kinder Gottes sind.“ Nach dieser Erfahrung zweifelte Joseph nie wieder gänzlich an Marias Geschichte vom Besuch Gabriels und an dessen Versprechen, dass das ungeborene Kind ein göttlicher Sendbote für die Welt werden würde.

 

Während all dieser Besuche wurde das Haus David mit keinem Wort erwähnt. Es fehlte auch jeglicher Hinweis darauf, dass Jesus der „Befreier der Juden“ oder gar der lang erwartete Messias sein würde. Jesus war nicht ein Messias, wie ihn die Juden erwartet hatten, aber er war der Befreier der Welt. Seine Sendung alt allen Rassen und Völkern, nicht nur einer bestimmten Gruppe.

 

Joseph stammte nicht vom Geschlecht König Davids ab. Maria hatte mehr Vorfahren vom Stamm Davids als Joseph. Es stimmt zwar, dass Joseph nach Betlehem, der Stadt Davids, ging, um sich für die römische Volkszählung einschreiben zu lassen, aber das geschah nur deshalb, weil sechs Generationen zuvor Josephs väterlicher Vorfahr aus jener Generation als Waise von einem gewissen Zadok, einem direkten Nachkommen Davids, adoptiert worden war; deshalb betrachtete man Joseph auch als zum „Haus Davids“ gehörig.

 

Die meisten der so genannten messianischen Prophetien des Alten Testaments wurden lange nachdem Jesus auf Erden gelebt hatte geschrieben, um auf ihn Anwendung zu finden. Jahrhunderte lang hatten die hebräischen Propheten das Kommen eines Erlösers verkündet, und diese Verheißungen deuteten die aufeinander folgenden Generationen so, als bezögen sie sich auf einen neuen jüdischen Herrscher, der auf dem Throne Davids sitzen und es unternehmen würde, mit Hilfe der angeblich mirakulösen Methoden des Moses die Juden in Palästina als mächtige, von aller Fremdherrschaft befreite Nation wiederherzustellen. Wiederum wurden viele bildliche Stellen, die überall in den hebräischen Schriften zu finden waren, später fälschlich auf Jesu Lebenssendung angewendet. Viele alttestamentliche Aussagen wurden so verändert, dass sie sich auf irgendeine Episode des irdischen Lebens des Meisters zu beziehen schienen. Jesus selber bestritt einmal öffentlich jede Verbindung mit dem königlichen Hause Davids. Sogar die Stelle „eine junge Frau wird einen Sohn gebären“ lautete nun: „eine Jungfrau wird einen Sohn gebären“. Dasselbe trifft auch auf die vielen Stammbäume sowohl Josephs wie auch Marias zu, die nach Jesu Erdentagen konstruiert wurden. Manche dieser Abstammungslinien enthalten viele Vorfahren des Meisters, sind aber im Großen und Ganzen nicht authentisch und, was die Fakten betrifft, nicht verlässlich. Die frühen Anhänger Jesu unterlagen nur allzu oft der Versuchung, all die alten prophetischen Äußerungen in ein solches Licht zu rücken,  dass sie im Leben ihres Herrn und Meisters in Erfüllung zu gehen schienen.

 

 

5. JESU IRDISCHE ELTERN

Joseph war ein Mann von sanftem Umgang, äußerst gewissenhaft und in jeder Weise den religiösen Sitten und Gebräuchen seines Volkes treu ergeben. Er sprach wenig, aber dachte viel. Die missliche Lage des jüdischen Volkes erfüllte ihn mit großer Trauer. Als Jugendlicher zwischen seinen acht Brüdern und Schwestern war er heiterer gewesen, aber in den ersten Ehejahren (während Jesu Kindheit) war er periodisch leichter geistiger Entmutigung unterworfen. Diese Stimmungsäußerungen besserten sich erheblich kurz vor seinem frühzeitigen Tod und nachdem die wirtschaftliche Lage seiner Familie sich durch seinen Aufstieg vom Rang eines Zimmermanns zur Rolle eines wohlhabenden Bauunternehmers verbessert hatte.

Marias Temperament war demjenigen ihres Ehemanns ganz und gar entgegengesetzt. Sie war im Allgemeinen fröhlich, war nur sehr selten niedergeschlagen und besaß ein immer sonniges Wesen. Maria gab ihren Gefühlen gern frei und häufig Ausdruck, und niemand hatte sie bis zum Plötzlichen Tod Josephs je traurig gesehen. Kaum hatte sie sich von diesem Schock erholt, als die Ängste und Fragen im Zusammenhang mit dem außerordentlichen Werdegang ihres ältesten Sohnes, der sich vor ihren erstaunten Augen so schnell entwickelte, sie bedrängten. Aber während dieser ganz ungewöhnlichen Erfahrung war Maria gefasst, mutig und recht besonnen im Umgang mit ihrem seltsamen und wenig verstandenen erstgeborenen Sohn und seinen überlebenden Brüdern und Schwestern.

 

Seinem Vater verdankte Jesus viel von seiner ungewöhnlichen Sanftheit und seinem wunderbar mitfühlenden Verstehen der menschlichen Natur. Von seiner Mutter erbte er seine Gabe als großer Lehrer und seine gewaltige Fähigkeit zu gerechter Empörung. Als Erwachsener war Jesus in seinen gefühlsmäßigen Reaktionen auf seine Umwelt zeitweilig wie sein Vater, nachdenklich und andächtig, manchmal von offensichtlicher Traurigkeit gekennzeichnet; aber häufiger schritt er in der zuversichtlichen und entschiedenen Art seiner Mutter voran. Alles in allem schien Marias Temperament im Werdegang des göttlichen Sohnes mehr und mehr die Oberhand zu gewinnen, während er aufwuchs und die bedeutsamen Schritte in sein Erwachsenenleben tat. In gewissen Eigenschaften war Jesus eine Mischung der Charakterzüge beider Elternteile; in anderer Hinsicht zeigte er die Züge des einen im Kontrast zu denen des anderen.

 

Von Joseph erhielt Jesus seine strenge Schulung in den Gebräuchen des jüdischen Zeremoniells und seine außergewöhnliche Vertrautheit mit den hebräischen Schriften; Maria verdankte er eine weniger enge Auffassung vom religiösen Leben und eine großzügigere Vorstellung von persönlicher geistiger Freiheit.

 

Die Familien beider, sowohl Josephs als auch Marias, waren für ihre Zeit sehr gebildet. Die Bildung Josephs und Marias lag weit über dem Durchschnitt jener Tage und ihrer gesellschaftlichen Stellung. Er war ein Denker; sie war eine Planerin, verstand es, sich mit Leichtigkeit anzupassen und war praktisch in der unmittelbaren Ausführung. Joseph hatte schwarze Augen und braune Haare; Maria hatte braune Augen und war fas blond.

Hätte Joseph gelebt, so wäre er zweifellos zum festen Glauben an die göttliche Sendung seines ältesten Sohnes gelangt. Maria schwankte zwischen Glauben und Zweifeln und stand dabei stark unter dem Einfluss der von ihren übrigen Kindern und von ihren Freunden und Verwandten vertretenen Ansichten, aber immer wurde sie in ihrer endgültigen Haltung bestärkt durch die Erinnerung an die Erscheinung Gabriels vor ihr unmittelbar nach der Empfängnis des Kindes.

Maria war eine geschickte Weberin und besaß eine überdurchschnittliche Fertigkeit in den meisten Haushaltstätigkeiten jener Tage. Sie war eine gute Haushälterin und eine hervorragende Hausfrau. Joseph und Maria waren beide gute Lehrer, und sie wachten darüber, dass ihre Kinder im Wissen jener Zeit gut bewandert waren.

 

Als junger Mann arbeitete Joseph für Marias Vater an einem Anbau für dessen Haus, und so geschah es, als Maria während eines Mittagessens Joseph eine Schale mit Wasser brachte, dass die eigentliche Zeit des Werbens für das Paar begann, das bestimmt war, Jesu Eltern zu werden.

Joseph und Maria wurden gemäß jüdischem Brauch in Marias Haus in der Umgebung von Nazaret verheiratet, als Joseph einundzwanzig Jahre alt war. Diese Heirat stand am Ende einer normalen, fas zweijährigen Zeit des Werbens. Kurz darauf bezogen sie ihr neues Heim in Nazarat, das Joseph mit Hilfe zweier seiner Brüder gebaut hatte. Das Haus lag dicht am Fuße des nahen Hügels, der sich so reizvoll über der umgebenden Landschaft erhob. In diesem eigens dazu vorbereiteten Haus gedachten die jungen und erwartungsvollen Eltern, das Kind der Vorsehung willkommen zu heißen, nicht ahnend, dass dieses für ein ganzes Universum hochbedeutende Ereignis während ihrer Abwesenheit von zu Hause in Betlehem in Judäa stattfinden würde.

Der größere Teil von Josephs Familie schloss sich Jesu Lehren an, aber nur sehr wenige von Marias Anhang glaubten an ihn, bevor er aus dieser Welt schied. Joseph neigte mehr dem geistigen Konzept vom erwarteten Messias zu, aber Maria und ihre Familie, besonders ihr Vater, hielten sich an die Idee vom Messias als einem zeitlichen Befreier und politischen Herrscher. Marias Vorfahren hatten sich in vorderster Reihe den Aktivitäten der Makkabäer angeschlossen, die damals erst sehr kurze Zeit zurücklagen.

 

Joseph hielt sich entschieden an die östlichen oder babylonischen Sichtweisen der jüdischen Religion, während Maria stark der freieren und großzügigeren westlichen oder hellenistischen Auslegung des Gesetzes und der Propheten zuneigte.

 

 

6. DAS HEIM IN NAZARET

Das Heim Jesu lag nicht weit von der Anhöhe, die sich über dem nördlichen Teil von Nazaret erhob, und in einiger Entfernung vom Dorfbrunnen, der sich im östlichen Teil der Stadt befand. Jesu Familie wohnte am Stadtrand, und das machte es ihm später umso leichter, sich an häufigen Spaziergängen auf dem Lande zu erfreuen und Ausflüge zum höchsten Punkt der nahen Anhöhe zu machen. Es war die höchste Erhebung in Südgaliläa mit Ausnahme des Berges Tabor im Osten und des Berges von Nain, der etwa gleich hoch war. Ihr Heim befand sich ein wenig südöstlich von der dem Berg im Süden vorgelagerten Erhebung und ungefähr auf halbem Wege zwischen dem Fuß des Berges und der von Nazaret nach Kana führenden Straße. Abgesehen von dem Besteigen des Berges war es Jesu Lieblingsspaziergang, einem engen Pfad, der sich an dessen Fuß entlangwand, in nordöstlicher Richtung bis zu einem Punkt zu folgen, wo er in die Straße nach Sepphoris einmündete.

 

Josephs und Marias Heim war ein aus einem einzigen Raum bestehendes Steingebäude mit einem Flachdach und einem Anbau zur Unterbringung der Tiere. Die Einrichtung bestand aus einem niedrigen Steintisch, irdenen und steinernen Schalen und Töpfen, einem Webstuhl, einer Lampe, mehreren kleinen Schemeln und Schlafmatten auf dem Steinboden. Im Hinterhof, nahe dem Anbau für die Tiere, war eine überdachte Stelle für den Ofen und die Mühle, in der das Korn gemahlen wurde. Zwei Personen waren erforderlich, um diese Art Mühle zu betätigen, eine, um zu mahlen und eine, um das Korn hineinzugeben. Als kleiner Junge schüttete Jesus oft das Korn in diese Mühle, während seine Mutter den Mühlstein drehte.

 

In späteren Jahren, als die Familie zahlreicher geworden war, pflegten sie alle um den vergrößerten Steintisch herum zu hocken und sich gemeinsam ihr Essen aus einer Schale oder einem Topf schmecken zu lassen. Im Winter erhellte während der Abendmahlzeit eine kleine, flache, mit Olivenöl gefüllte Lampe aus Ton den Tisch. Nach Marthas Geburt fügte Joseph diesem Haus einen großen Raum an, der tagsüber als Zimmermannswerkstatt und nachts als Schlafraum diente.

 

 

7. DIE REISE NACH BETLEHEM

Im März des Jahres 8 v. Chr. (dem Monat der Heirat Josephs und Marias) verordnete Kaiser Augustus, dass alle Einwohner des Römischen Reiches gezählt werden sollten. Diese Volkszählung sollte einer besseren Besteuerung dienen. Die Juden hatten sich gegenüber jedem Versuch, „das Volk zu zählen“, immer sehr ablehnend verhalten. Dies zusammen mit ernsten innenpolitischen Schwierigkeiten des Herodes, König von Judäa, bewirkte eine Verschiebung der Volkszählung im jüdischen Königreich um ein Jahr. Im ganzen römischen Reich wurde diese Zählung im Jahre 8 v. Chr. durchgeführt, außer im palästinensischen Königreich des Herodes, wo sie erst ein Jahr später, im Jahre 7 v. Chr., abgehalten wurde.

 

Es war nicht nötig, dass Maria zur Eintragung in die Register nach Betlehem ging – Joseph war dazu für die ganze Familie ermächtigt – aber Maria, die eine unternehmungslustige und energische Person war, bestand darauf, ihn zu begleiten. Sie fürchtete sich davor, das Kind allein und in Josephs Abwesenheit zur Welt zu bringen, und da Betlehem nicht weit von der Stadt Juda entfernt war, sah sie außerdem der Möglichkeit eines angenehmen Besuchs bei ihrer Verwandten Elisabet entgegen.

 

Eigentlich verbot Joseph es Maria, ihn zu begleiten, aber ohne Erfolg. Beim Einpacken des Proviants für die drei- bis viertägige Wanderung sah sie doppelte Rationen vor und machte sich reisefertig. Aber noch bevor sie aufbrachen, hatte sich Joseph damit abgefunden, dass Maria mitkam, und in froher Stimmung verließen sie bei Tagesanbruch Nazaret.

 

Joseph und Maria waren arm, und da sie nur ein Lasttier besaßen, ritt Maria, weil sie in anderen Umständen war, mitsamt dem Proviant auf dem Tier, während Joseph daneben herging und es führte. Das Bauen und Einrichten eines Hauses hatte Joseph finanziell schwer belastet, zumal er auch zum Lebensunterhalt seiner Eltern beitragen musste, nachdem sein Vater kurz zuvor erwerbsunfähig geworden war. Und so verließ das jüdische Paar sein bescheidenes Heim am frühen Morgen des 18. August im Jahr 7 v. Chr. und begab sich auf die Reise nach Betlehem.

Ihr erster Reisetag führte sie um die dem Berg Gilboa vorgelagerten Hügel herum, wo sie ihr Nachtlager am Jordan aufschlugen und sich in allerlei Mutmaßungen über das Wesen des Sohnes ergingen, der ihnen geboren werden sollte, wobei Joseph die Vorstellung von einem geistigen Lehrer bevorzugte, während Maria an der Idee eines jüdischen Messias, eines Befreiers der hebräischen Nation festhielt.

 

In froher Stimmung und früh am Morgen des 19. August waren Joseph und Maria wieder auf dem Weg. Sie nahmen ihr Mittagsmahl zu Füßen des Berges Sartaba ein, von wo sie das Jordantal überblickten, und gelangten bis nach Jericho, wo sie für die Nacht in einer Herberge an der Hauptstraße außerhalb der Stadt abstiegen. Nach dem Abendessen und vielen Gesprächen über den Druck der römischen Herrschaft, über Herodes, die Volkszählung und über einen Vergleich des Einflusses von Jerusalem und Alexandria als Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und am 20. August nahmen sie ihre Reise wieder auf, erreichten Jerusalem vor Mittag, besuchten den Tempel und langten in Betlehem, ihrem Reiseziel mitten am Nachmittag an.

 

Die Herberge war überfüllt und Joseph sah sich deshalb nach einer Unterkunft bei entfernten Verwandten um, aber jeder Raum in ganz Betlehem war überbelegt. Bei seiner Rückkehr in den Hof der Herberge erfuhr er, dass man aus den Karawanenställen, die in die Felswand gehauen waren und sich gerade unterhalb der Herberge befanden, die Tiere entfernt und die Ställe für die Aufnahme von Gästen gereinigt hatte. Joseph ließ den Esel im Hof, lud ihre Kleider- und Proviantsäcke auf die Schultern und stieg mit Maria die Steinstufen zu ihrer Unterkunft hinab. Sie fanden sich in einer früheren Kornkammer auf der Vorderseite der Boxen und Krippen untergebracht. Vorhänge aus Zeltstoff waren aufgehängt worden, und sie schätzten sich glücklich, ein so bequemes Quartier zu haben.

 

Joseph hatte beabsichtigt, sofort loszugehen und sich einschreiben zu lassen, aber Maria war müde. Sie war sehr bekümmert und bat ihn sehr, an ihrer Seite zu bleiben, was er auch tat.

 

 

8. JESU GEBURT

Die ganze Nacht über war Maria unruhig, so dass keiner von beiden viel schlief. Bei Tagesanbruch war es klar, dass die Geburtswehen eingesetzt hatten, und um die Mittagsstunde des 21. August, 7 v. Chr., wurde Maria dank der Hilfe und den freundlichen Diensten mitreisender Frauen von einem Knaben entbunden. Jesus von Nazaret war in diese Welt hineingeboren, man wickelte ihn in die Tücher, die Maria für solch einen Fall mitgebracht hatte und legte ihn nahebei in eine Krippe.

In eben der Weise, in der alle Säuglinge seit eh und je zur Welt gekommen sind, wurde auch das Kind der Verheißung geboren. Und am achten Tage wurde es nach jüdischem Brauch beschnitten und in aller Form Josua (Jesus) genannt.

 

Am Tag nach Jesu Geburt schrieb Joseph sich ein. Er traf auf einen Mann, mit dem sie sich zwei Abende zuvor in Jericho unterhalten hatten, und dieser brachte ihn zu einem wohlhabenden Freund, der ein Zimmer in der Herberge hatte und sie wissen ließ, dass er gerne bereit wäre, mit dem Paar aus Nazaret die Quartiere zu tauschen. Am selben Nachmittag zogen sie in die darüber liegende Herberge um und blieben dort fast drei Wochen lang, bis sie im Hause eines entfernten Verwandten Josephs Unterkunft fanden.

 

Am zweiten Tage nach der Geburt Jesu sandte Maria Elisabet die Nachricht, dass ihr Kind angekommen sei und erhielt als Antwort eine Einladung für Joseph nach Jerusalem, um mit Zacharias über all ihre Angelegenheiten zu sprechen. In der folgenden Woche begab sich Joseph zur Unterredung mit Zacharias nach Jerusalem. Sowohl Zacharias wie auch Elisabet waren zu der aufrichtigen Überzeugung gelangt, dass Jesus tatsächlich der jüdische Befreier, der Messias werden würde, und ihr Sohn Johannes das Haupt seiner Helfer, seine vom Schicksal bestimmte rechte Hand. Und da Maria dieselben Gedanken hatte, war es nicht schwer, Joseph zu überreden, in Betlehem, der Stadt Davids zu bleiben, damit Jesus aufwachsen könne, um Davids Nachfolger auf dem Thron von ganz Israel zu werden. Also blieben sie länger als ein Jahr in Betlehem. Joseph ging in dieser Zeit einigen Zimmermannsarbeiten nach.

 

An jenem Mittag der Geburt Jesu sangen die unter ihren Leitern versammelten Serafim von Urantia Hymnen der Lobpreisung über der Krippe von Betlehem, aber kein menschliches Ohr vernahm sie. Weder Hirten noch irgendwelche anderen menschlichen Geschöpfe kamen, um das Kind von Betlehem zu verehren, bis zum Tage der Ankunft gewisser Priester aus Ur, die Zacharias von Jerusalem herabgesandt hatte.

 

Ein eigenartiger Religionslehrer ihres Landes hatte diesen Priestern aus Mesopotamien einige Zeit zuvor eröffnet, ihm sei in einem Traum mitgeteilt worden, dass das „Licht des Lebens“ in Kürze auf Erden als ein Kind und unter den Juden erscheinen werde. Dahin lenkten diese drei Lehrer ihre Schritte auf der Suche nach dem „Licht des Lebens“. Nach vielen Wochen vergeblichen Nachforschens in Jerusalem waren sie nahe daran, nach Ur zurückzukehren, als Zacharias sie traf und ihnen seine Ansicht eröffnete, dass Jesus das Objekt ihrer Suche sei, und sie nach Betlehem wies, wo sie das Kind fanden und ihre Geschenke bei seiner irischen Mutter Maria ließen. Das Kind war zur Zeit ihres Besuchs fast drei Wochen alt.

 

Diese weisen Männer sahen keinen Stern, der sie nach Betlehem führte. Die schöne Legende vom Stern von Betlehem entstand folgendermaßen: Jesus wurde am Mittag des 21. August 7 v. Chr. Geboren. Am 29. Mai 7 v. Chr. Fand eine außergewöhnliche Konjunktion von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische statt. Und es ist eine bemerkenswerte astronomische Tatsache, dass gleiche Konjunktionen sich auch am 29. September und am 5. Dezember desselben Jahres ereigneten. Von diesen außerordentlichen, aber völlig natürlichen Vorgängen ausgehend, schufen die Glaubenseiferer der nächsten Generation in gut gemeinter Absicht die rührende Legende vom Stern von Betlehem und den verehrenden Magiern, die von ihm zur Krippe geführt wurden, wo sie das neugeborene Kind erblickten und anbeteten. Die fern- und nahöstlichen Gemüter ergötzen sich an Märchen, und sie weben immer wieder solch schöne Mythen um das Leben ihrer religiösen Führer und politischen Helden. Als der größte Teil des menschlichen Wissens in Ermangelung von Druckerzeugnissen mündlich von einer Generation auf die nächste überging, geschah es sehr leicht, dass Mythen zu Traditionen und diese schließlich als Tatsachen anerkannt wurden.

 

 

9. DIE DARBRINGUNG IM TEMPEL

Moses hatte die Juden gelehrt, dass jeder erstgeborene Sohn dem Herrn gehöre, dass er aber, anstatt geopfert zu werden, wie es bei den heidnischen Völkern der Brauch war, unter der Voraussetzung am Leben bleiben könne, dass seine Eltern ihn gegen Bezahlung von fünf Schekel bei irgendeinem bevollmächtigten Priester loskauften. Es gab auch eine mosaische Verordnung, welche verlangte, dass eine Mutter nach Ablauf einer bestimmten Zeit zur Reinigung im Tempel zu erscheinen hatte (oder das angemessene Opfer durch jemand anderen an ihrer Stelle erbringen lassen musste). Es war Sitte, beide Zeremonien gleichzeitig zu vollziehen. Also gingen Joseph und Maria selber zum Tempel nach Jerusalem, um Jesus den Priestern darzubringen, seinen Loskauf zu erwirken und auch, um das erforderliche Opfer zu bringen, das die zeremonielle Reinigung Marias von der angeblichen Unreinheit der Geburt gewährleisten sollte.

Zwei bemerkenswerte Gestalten, der Sänger Simeon und die Dichterin Anna, hielten sich ständig in den Tempelhöfen auf. Simeon war Judäer, Anna aber Galiläerin. Dieses Paar war häufig beisammen, und beide waren auch enge Freunde des Priesters Zacharias, der ihnen das Geheimnis von Johannes und Jesus anvertraut hatte. Sowohl Simeon wie Anna sehnten sich nach dem Kommen des Messias, und ihr Vertrauen in Zacharias ließ sie daran glauben, dass Jesus der erwartete Erlöser des jüdischen Volkes sei.

 

Für diesen Anlass hatte Anna ein Gedicht geschrieben, das Simeon zum größten Erstaunen Josephs, Marias und all derer, die im Tempelhof versammelt waren, zu singen anhub. Dies war ihr Lobgesang anlässlich des Loskaufs des erstgeborenen Sohns:

 

Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels!

Denn er hat uns gesegnet und seinem Volk Befreiung gebracht;

Er hat für uns alle im Hause seines Dieners David ein Füllhorn des Heils aufgerichtet.

Und so hat er gesprochen durch den Mund seiner heiligen Propheten –

Er hat uns errettet vor unseren Feinden und aus der Hand aller die uns hassen;

Er hat unseren Vätern Barmherzigkeit erzeigt und sich seines heiligen Bundes erinnert,

des Eides, den er Abraham, unserem Vater, geschworen;

er hat uns gewährt, dass wir, aus Feindeshand befreit, ihm ohne Furcht dienen

in Heiligkeit und Rechtschaffenheit vor ihm all unsere Tage.

Ja und du, Kind der Verheißung, wirst Prophet des Allerhöchsten genannt werden;

Denn du wirst vor des Herrn Angesicht treten und sein Königreich errichten;

Du wirst seinem Volk die Kunde des Heils bringen in der Vergebung seiner Sünden.

Freut euch der liebevollen Barmherzigkeit unseres Gottes, denn der Tagesanbruch aus der Höhe hat uns jetzt besucht, um allen zu leuchten, die in der Dunkelheit sitzen und im Schatten des Todes, und unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken.

Und lass jetzt, oh Herr, deinem Wort gemäß deinen Diener in Frieden ziehen.

Denn meine Augen haben dein Heil gesehen,

das du vor den Augen aller Völker bereitet hast;

Ein Licht, das sogar die Heiden erleuchten und der Ruhm deines Volkes Israel sein wird.

Auf dem Heimweg nach Betlehem waren Joseph und Maria schweigsam – verwirrt und eingeschüchtert. Maria war durch den Abschiedsgruß Annas, der betagten Dichterin, sehr verstört und Joseph war nach diesem verfrühten Anlauf, Jesus zum erwarteten Messias des jüdischen Volkes zu erklären, missgestimmt.

10. HERODES HANDELT

Aber die Späher des Herodes waren nicht untätig. Als sie ihm über den Besuch der Priester von Ur in Betlehem Meldung erstatteten, forderte Herodes diese Chaldäer auf, vor ihm zu erscheinen. Er erkundigte sich bei den weisen Männern eingehend nach dem neuen „König der Juden“, aber sie gaben ihm nur die unbefriedigende Auskunft, dass das Kind von einer Frau, die mit ihrem Mann zur Volkszählung nach Betlehem gekommen war, zur Welt gebracht worden sei. Herodes war mit dieser Antwort nicht zufrieden, gab ihnen Geld und schickte sie mit dem Befehl aus, das Kind ausfindig zu machen, damit auch er hingehen und es anbeten könne, da sie ja erklärt hätten, desses Königreich werde geistiger, nicht zeitlicher Art sein. Als aber die weisen Männer nicht zurückkehrten, schöpfte Herodes Verdacht. Während er gerade über diese Angelegenheit nachsann, kamen seine Spitzel zurück und gaben ihm eine ausführliche Darstellung der kürzlichen Vorkommnisse im Tempel. Sie händigten ihm eine Abschrift von Teilen des Liedes aus, das Simeon während der Loskaufzeremonie für Jesus gesungen hatte. Aber es war ihnen nicht gelungen, Joseph und Maria zu folgen, und Herodes war sehr zornig auf sie, als sie nicht imstande waren, ihm zu sagen, wohin das Paar das Kind gebracht hatte. Daraufhin sandte er Kundschafter aus, um Joseph und Maria ausfindig zu machen. Da Zacharias und Elisabet wussten, dass Herodes die Familie aus Nazaret verfolgte, blieben sie Betlehem fern. Der kleine Knabe wurde bei Verwandten Josephs verborgen.

Joseph fürchtete sich, Arbeit zu suchen, und ihre kleinen Ersparnisse schwanden rasch dahin. Schon anlässlich der Reinigungszeremonien im Tempel stufte sich Joseph als arm genug ein, um das Opfer von zwei jungen Tauben für Maria zu rechtfertigen, wie Moses es für die Reinigung von Muttern der Armen bestimmt hatte.

 

Als die Häscher des Herodes nach mehr als einjähriger Suche Jesus nicht gefunden hatten und weil der Verdacht bestand, dass das Kind noch immer in Betlehem versteckt gehalten wurde, ordnete er eine systematische Durchsuchung jedes Hauses in Betlehem und die Tötung aller männlichen Kinder unter zwei Jahren an. Auf diese Weise hoffte Herodes sicherzugehen, dass dieses Kind, das der „König der Juden“ werden sollte, beseitigt würde. Dadurch kamen an einem Tag sechzehn Knäblein in Betlehem in Judäa um. Aber Intrigen und Morde, sogar in seiner eigenen Familie, waren am Hofe des Herodes an der Tagesordnung.

 

Dieser Kindermord geschah Mitte Oktober 6 v. Chr., als Jesus etwas über ein Jahr alt war. Es gab aber sogar unter den Höflingen des Herodes einige, die an den kommenden Messias glaubten, und einer von ihnen, der vom Befehl zur Abschlachtung der Knäblein von Betlehem Kenntnis erhalten hatte, setzte sich mit Zacharias in Verbindung, der seinerseits einen Boten zu Joseph sandte. Am Abend vor dem Massaker verließen Joseph und Maria Betlehem mit ihrem Kind in Richtung Alexandria in Ägypten. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, reisten sie allein mit Jesus nach Ägypten. Sie bestritten die Reise nach Alexandria mit Geldmitteln, die Zacharias zur Verfügung gestellt hatte. Dort arbeitete Joseph in seinem Beruf, während Maria und Jesus bei wohlhabenden Verwandten der Familie Josephs Wohnung fanden. Ihr Aufenthalt in Alexandria dauerte zwei volle Jahre, und sie kehrten erst nach dem Tode des Herodes nach Betlehem zurück.